Organisation auf dem Prüfstand

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Konsumgüterhersteller weltweit müssen sich auf die steigenden Anforderungen an ihre internen Strukturen und Prozesse einstellen – auf den wachsenden Preiswettbewerb, technologische Innovationen und zunehmenden Fachkräftemangel. Reagieren sie richtig und tun sie genug für die Resilienz ihrer Organisation? Eher nicht. Eine McKinsey-Analyse zur organisatorischen Aufstellung der Unternehmen offenbart an vielen Stellen Handlungsbedarf.

Guter Wille, schwache Umsetzung

30 Prozent der Führungskräfte beklagen Ineffizienzen etwa in betrieblichen Prozessen und beim Einsatz von Ressourcen. Programme zum Aufbau neuer Fähigkeiten haben nur bei jedem dritten Unternehmen durchweg positive Effekte auf das Geschäft – das gilt vor allem für die Bereiche E-Commerce, Revenue Growth Management, Marketing und Innovation. Nachhaltigkeit wiederum hat zwar bei über 60 Prozent der Unternehmen Priorität, doch nur wenige wissen ihre ambitionierten Klimaziele auch umzusetzen.

90%

aller erfolgreichen Unternehmen haben eine klare, kundenzentrierte Strategie.

Effizienz, Kompetenzaufbau und Nachhaltigkeit sind nur drei von zehn Handlungsfeldern, die McKinsey unter Konsumgüterherstellern ausgemacht hat. Für die Branchenanalyse, die im Rahmen des Reports „The State of Organizations“ durchgeführt wurde, sind 250 Führungskräfte aus Consumer-Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden befragt worden. Zu den teilnehmenden Organisationen aus acht Ländern zählen große Marken wie Mars, LEGO und Decathlon. Während Effizienzsteigerungen, der Aufbau relevanter Fähigkeiten und nachhaltiges Wirtschaften schon seit Längerem auf der Agenda der Unternehmen stehen, geraten vier Themen aktuell besonders in den Fokus: die kundenzentrierte Organisation, generative künstliche Intelligenz (GenAI), „glokale“ Partnerschaften und die Bindung der immer rarer werdenden Talente. Sie werden im Folgenden näher betrachtet.

Der Fixstern: Konsequenter Kundenfokus

Es klingt so simpel und zählt doch zu den größten Herausforderungen: die Ausrichtung einer Konsumgüterorganisation auf ihre Kund:innen. Neun von zehn CEOs geben in der McKinsey-Umfrage an, dass sie eine klare Vorstellung von ihren strategischen Prioritäten haben. Und dazu zählt an erster Stelle maximale Nähe zu denen, die ihre Produkte und Services kaufen.

Die Realität sieht jedoch häufig anders aus: Die Ziele des Topmanagements dringen oft nicht bis zu allen Teams und Abteilungen durch – bei 28 Prozent findet dieser Informationsfluss überhaupt nicht statt. Den Mitarbeitenden wiederum fehlt es an Handlungsspielräumen für eigene kundenorientierte Entscheidungen. Stattdessen wird Zeit auf Arbeiten verwendet, die kaum bis gar keinen Mehrwert für die Konsument:innen schaffen.

Kundenzentrierte Unternehmen hingegen „denken“ ihre Organisation konsequent aus der Konsumentensicht. Sie entwickeln ihre Strategien auf Basis von Kundenanalysen und hinterlegen sie mit Leistungskennzahlen für alle Funktionen. Sie schaffen agile Teams und geben ihnen genügend Autonomie, um rasch auf neue Kundenbedürfnisse reagieren zu können. Den Einsatz ihrer Ressourcen passen sie laufend an die wechselnden Trends an.

Der „Fixstern Kunde“ als Kompass verhilft Organisationen nicht nur zu einem besseren Verständnis ihrer Zielgruppen. Er macht ihre Arbeit auch effektiver, ihre Beschäftigten zufriedener und die Kundenbindung an ihre Marken stärker. Internethändler Amazon war einer der Ersten, der seine Organisation auf diesen Fixstern ausgerichtet hat. Seine Vision vom „kundenzentriertesten Unternehmen der Welt“ spiegelt sich am sichtbarsten wider in der Art, wie der Konzern Kundenerlebnisse entlang aller Kontaktpunkte schafft. Sie findet sich aber ebenso in der inneren Struktur und Unternehmenskultur: Mitarbeitertrainings zur Steigerung der Kundenzufriedenheit, regelmäßige Auswertungen von Konsumentendaten und die frühe Einbindung von Kund:innen in die Innovationsentwicklung sind fester Bestandteil der Amazon-Organisation – und bis heute die wichtigste Basis für ihren Erfolg

Das Tool der Zukunft: GenAI

Der Einfluss künstlicher Intelligenz auf Konsumgüterindustrie und Handel ist kaum noch zu überschätzen. Weltweit 400 bis 660 Milliarden US-Dollar – so viel steckt laut McKinsey-Analysen in der Zukunftstechnologie. Das entspricht 27 bzw. 44 Prozent des jeweiligen operativen Gewinnpotenzials für Hersteller und Händler.

Grund für den enormen ökonomischen Effekt ist die große Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten im Unternehmen, angefangen beim Recruiting über Marketing und Operations bis hin zum Backoffice. Konsumgüterunternehmen stehen hier an der Spitze der Bewegung: Nach einer Umfrage von Quantum Black haben 70 Prozent die intelligenten Tools bereits installiert. Bei der Ausschöpfung des Potenzials gibt es allerdings noch Luft nach oben. Verbreitete Silostrukturen in der Organisation verhindern vielfach die crossfunktionale Nutzung; fehlende Fachkräfte und Berührungsängste in der Belegschaft blockieren die Skalierung von GenAI-Anwendungen in der Organisation.

400 Mrd. US-Dollar

operatives Gewinnpotenzial steckt für Hersteller von Konsumgütern im Einsatz von GenAI.

Hinzu kommen rechtliche und ethische Bedenken. Wer es allerdings schafft, die Risiken rechtzeitig zu adressieren und die internen Hürden zu überwinden, profitiert spürbar – beispielsweise von 80 Prozent effizienteren Recruitingprozessen und einer 25 Prozent höheren Produktivität im operativen Geschäft.

Wie gelingt der Wandel zur KI-gestützten Organisation auf smarte Weise? Sobald die grundsätzliche KI-Strategie feststeht, lautet das Erfolgsrezept: direkt starten. Ein bis zwei konkrete Anwendungsfälle helfen, den Nutzen der neuen Technologie zu erproben. Die Skalierung in der Organisation erfordert dann vor allem vier Transformationsschritte: den Aufbau von Fähigkeiten im Umgang mit GenAI, die Verknüpfung von Tech und Business im Operating Model, die Ausstattung der firmeneigenen IT mit Analytiktools wie Machine Learning zur Steuerung der Anwendungen und schließlich die Schaffung einer strukturierten, qualitativ hochwertigen Dateninfrastruktur. So vorbereitet, steht dem effektiven Einsatz von GenAI als Game Changer im Wettbewerb um neue Talente und Käufergruppen nichts mehr im Wege.

Neue Nähe zu den Märkten: „Glokale“ Partnerschaften

Global agierende Konsumgüterunternehmen stehen vor einem Problem, das nur schwer in den Griff zu bekommen ist: das exakte Zuschneiden ihrer Aktivitäten auf die spezifischen Anforderungen lokaler Märkte. Noch immer werden fast 30 Prozent aller lokalen Entscheidungen, etwa zur Markenbildung oder Kundenansprache, von der Unternehmenszentrale gefällt und nicht von den Teams vor Ort. Die Folge ist nicht nur Frust bei den Ländervertretungen, sondern Überkomplexität, Schwerfälligkeit und Ineffizienz des gesamten Apparats.

Und das Problem wächst. Das Konsumverhalten rund um den Globus ist zu divers und zu schnelllebig geworden für einsame Entscheidungen aus dem Elfenbeinturm. Gefragt sind „glokale“ Partnerschaften zwischen eigenverantwortlich handelnden Teams in den regionalen und lokalen Märkten sowie einem globalen Headquarter, das die strategische Richtung vorgibt und repetitive Aufgaben zentral bündelt. Erfolgreiche Glokals schlagen die Konkurrenz durch kürzere Markteinführungszeiten und höhere Kundentreue aufgrund ihrer einschlägigen Kenntnis dessen, was die Menschen am Ort wirklich brauchen und wollen.

29%

aller lokalen Marktentscheidungen werden von der Zentrale getroffen – zum Nachteil der Märkte vor Ort.

Einige Unternehmen haben die dezentrale Verteilung von Verantwortlichkeiten bereits zum Prinzip erhoben. Sportartikelhändler Decathlon beispielsweise setzt auf „entrepreneurship at all levels“ und flache Hierarchien, um seine Präsenz in mehr als 70 Ländern erfolgreich zu gestalten. Als Topmanagerin, so CEO Barbara Martin Coppola gegenüber McKinsey, sei es unerlässlich, auf die Teams mit direktem Kundenkontakt in den Märkten vor Ort zu hören – nur so käme es zu Verbesserungen und Innovation. Andere große Konsumgüterunternehmen wiederum präferieren nach wie vor traditionell-hierarchische Organisationsmodelle – unabhängig davon, welcher Sparte sie angehören. Welches Modell den langfristig größten Erfolg verspricht, muss sich noch zeigen. Doch angesichts der wachsenden Pluralität von Märkten, Konsumtrends und innovativen Herausforderern spricht vieles für glokale Partnerschaften mit klar verteilten Verantwortlichkeiten, die Resilienz und Agilität miteinander vereinen.

Der menschliche Faktor: Talentmanagement „end to end“

Der Erfolg einer Organisation steht und fällt letztlich mit den Menschen, die in ihr arbeiten. Umso alarmierender die Zahl, die eine globale Branchenumfrage 2023 ergeben hat: Darin gaben 43 Prozent der Arbeitskräfte in der Produktion an, innerhalb der nächsten drei bis sechs Monate ihren Job kündigen zu wollen.

Die Gründe dafür mögen vielfältig sein, doch einige sind in der Organisation selbst zu suchen: Beschäftigte in der Produktion bleiben bei Programmen zur Talententwicklung oft außen vor. Fortbildungen scheren operativ Arbeitende über einen Kamm, ohne auf ihre individuellen Lernbedürfnisse und Jobanforderungen einzugehen.

Bei der Einführung neuer Technologien fehlt es an flankierenden Trainings zum Aufbau der nötigen Fähigkeiten. Hier gilt es, Abhilfe zu schaffen. Denn Abwanderungen dieser Größenordnung können sich Unternehmen angesichts zunehmenden Fachkräftemangels nicht leisten. Talentmanagement „end to end“ ist auch in der Produktion gefordert: Es beginnt mit überzeugenden Wertversprechen an die Mitarbeitenden, einem genauen Verständnis ihrer Rollen und der Diagnose ihrer Fähigkeiten. Es setzt sich fort in strukturierten Anwerbungs- und Onboarding-Prozessen und dem Aufbau einer systematischen Lerninfrastruktur, angepasst an die jeweiligen Rollen und (wechselnden) Anforderungen. Und es verstetigt sich in einem Performancemanagement, das die individuelle Entwicklung laufend überprüft, Fortschritte belohnt und den weiteren Karrierepfad aktiv plant.

Ein inklusives Arbeitsumfeld und die Schaffung einer „employee experience“ auch im operativen Tagesgeschäft tun ihr Übriges, um die Fachkräfte im Unternehmen zu halten. Mehr noch: Durch ganzheitliches Talentmanagement an der Frontline gewinnt die Organisation nicht nur zufriedenere und loyalere Mitarbeitende. Sie erhöht damit auch die Arbeitsproduktivität, spart Abwanderungs- und Neuanwerbungskosten und minimiert die Risiken in der Fertigungskette. Mars, einer der größten Süßwaren- und Nahrungsmittelhersteller der Welt, setzt seit Jahrzehnten auf Talententwicklung über alle Hierarchieebenen hinweg – von der Linie bis in die Führungsetage. Im Interview zum McKinsey-Report „The State of Organizations“ bezeichnet CEO Poul Weihrauch die Trainingskultur bei Mars als „die Kernkompetenz“ des Unternehmens.

43%

der Arbeitskräfte in der Konsumgüterproduktion denken daran, ihren Job zu wechseln.

Das gilt auch für andere große Unternehmen im Konsumgütersektor. Für Loren I. Shuster, HR-Vorstand beim dänischen Spielwarenhersteller LEGO, stellt eine Organisation, die durch wechselseitigen Respekt, Diversität und Gleichbehandlung geprägt ist, einen Schlüssel zum Unternehmenserfolg dar – auch in der mehr als 90-jährigen Geschichte von LEGO.

Der Lohn des Wandels: Innen fit, außen (erfolg)reich

Der Organizational Health Index (OHI), den McKinsey bereits vor einigen Jahren entwickelt hat, bestätigt den direkten Zusammenhang zwischen starker Organisation und ökonomischem Erfolg: Demnach erzielen Unternehmen, die im OHI zum Topquartil gehören, eine dreimal höhere Aktienrendite als diejenigen, die beim Orga-Fitness- Check nur mittelmäßig abschneiden. Doch auch abseits der Kapitalmärkte belegen Erfolgsbeispiele aus der Praxis: Wem es gelingt, seine Organisation zukunftsorientiert zu transformieren, wird mit Wachstum und Profitabilität belohnt.

Umgekehrt gilt jedoch auch: Wer es versäumt, seine Organisation resilient aufzustellen und zugleich agil an die wechselnden Anforderungen des Marktes anzupassen, setzt mittelfristig seine Wachstums- und Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel. Es kann sich daher auszahlen, die eigene Organisation jetzt auf den Prüfstand zu stellen und z.B. über einen Operating Model Scan herauszufinden, wo genau Transformationsbedarf besteht. Denn die Erfahrung zeigt: Unternehmen, die es verstehen, ihr Operating Model an den Bedürfnissen ihrer Kund:innen auszurichten, ihr Personal entsprechend den Marktanforderungen zu entwickeln und eine Kultur der Veränderung in den Köpfen zu verankern, haben gute Chancen, zum Marktführer von morgen zu werden – oder es lange zu bleiben.

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