Nur für sechs der 14 untersuchten Kennzahlen im Energiewende-Index ist die Zielerreichung bis 2020 realistisch. Erstmals hat es zwar der Indikator für die Industriestrompreise in diese Kategorie geschafft: Mit 8,7% fiel der Preis deutlich stärker als im EU-Durchschnitt (-3,7%), das hiesige Preisniveau von 8,9 ct/kWh liegt nur noch 8,8% über dem europäischen Schnitt. Aber: „Die derzeit steigenden Netzentgelte und Börsenstrompreise könnten den Indikator allerdings schon bald wieder verschlechtern“, stellt McKinsey-Seniorpartner Thomas Vahlenkamp fest, der den Index entwickelt hat.
Auch die aktuell noch positive Entwicklung bei den Arbeitsplätzen im Bereich erneuerbare Energien (+10.000 auf 338.000) sei voraussichtlich nicht von Dauer. Aufgrund der geänderten regulatorischen Rahmenbedingungen für den Ausbau der Windenergie sei ab 2019 ein deutlicher Rückgang der jährlich errichteten Windkraftanlagen zu erwarten. Erste Hersteller hätten bereits mit Stellenabbau in der eigenen Produktion und bei Zulieferern reagiert. Grundsätzlich weiterhin realistisch bleibt hingegen die Zielerreichung für die Indikatoren Arbeitsplätze in stromintensiven Industrien sowie Ausfall Stromversorgung, gesicherte Reservemarge und Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien.
In ihrer Zielerreichung unrealistisch bleiben neben den Indikatoren Kosten Netzeingriffe und Ausbau Transportnetze die Indikatoren für die EEG-Umlage, Haushaltstrompreise, CO2-Ausstoß sowie Primärenergie- und Stromverbrauch.
Elektromobilität wird zur großen Herausforderung für lokale Verteilnetze
In der Sonderanalyse ist McKinsey der Frage nachgegangen, wie gut das deutsche bestehende Energiesystem auf den zu erwartenden Boom der Elektromobilität vorbereitet ist. Die Antwort: Während die gesamte Stromnachfrage durch die Elektromobilität nicht fundamental steigt, kann die wachsende Zahl an Elektrofahrzeugen auf lokaler Ebene schnell zu großen Herausforderungen in einzelnen Verteilnetzen führen.
Die Jahresspitzenlast in Deutschland steigt der McKinsey-Analyse zufolge durch den zusätzlichen Strom, den Elektromobile verbrauchen, bis 2030 selbst bei starkem Ausbau nur um wenige Prozentpunkte. Anders sieht es in den lokalen Verteilnetzen aus. Dort kann eine steigende Anzahl an Elektroautos zu massiven Engpässen führen. „Die unkoordinierte Lastwirkung von E-Autos wird sich erwartungsgemäß auf jene Abendstunden konzentrieren, in denen die lokale Verteilnetzzelle mit ihren beispielhaft angenommenen 150 angeschlossenen Haushalten heute ohnehin schon ihre Spitzenlast hat“, stellt Hauke Engel, Associate Partner bei McKinsey, fest. Schon ein Anteil von 25% E-Fahrzeugen mit typischem Strommix und Ladeleistungen zwischen 1,7 kW und 11 kW könnten zu einem Anstieg der Spitzenlast in der lokalen Verteilnetzzelle um 30% führen. Die typische Ladezeit betrage hierbei etwa fünf Stunden, abhängig vom Nutzerverhalten. Die Verwendung von Schnellladestationen (die allerdings in Privathaushalten nicht zu erwarten sind) würde diese lokale Spitzenlast weiter erhöhen, wenngleich sich durch die kürzeren Ladezeiten neue Optimierungs- und Koordinationsmöglichkeiten ergeben, weil eine volle Batterieladung nicht mehr die gesamte Nacht dauert.
Hauke Engel: „In jedem Fall bleibt unter dem Strich eine nicht unerhebliche Mehrlast, die auch Photovoltaik-Anlagen in den sonnenärmeren Spitzenlaststunden am späten Nachmittag und frühen Abend nicht abfedern können.“ Viele Verteilnetzzellen seien auf diese Zusatzbelastung heute nicht vorbereitet und ein entsprechender Ausbau wäre aufwendig und teuer. Analysen ergeben einen höheren zweistelligen Milliardenbetrag in den kommenden fünf bis zehn Jahren.
Eine Überlastung der Verteilnetze kann Engel zufolge durch Änderung des Ladeverhaltens (z.B. koordiniertes, sequenzielles Laden über die gesamte Nacht) reduziert oder sogar ganz vermieden werden. Zu erwarten sei dadurch eine Minderung der zusätzlichen Spitzenlast um den Faktor 5 bis 7. Noch fehlten für eine solche Koordination geeignete Markt- und Anreizmechanismen. Auch die Umstellung der Stromabrechnung in Haushalten von Arbeitspreisen (kWh) auf Leistungspreise (kW) sei bislang noch nicht weit fortgeschritten. Entsprechende Anpassungen könnten langfristig helfen, die Ladevorgänge von Elektroautos nicht nur zu bewältigen, sondern sie sogar positiv für das erneuerbare Stromsystem nutzbar machen und so dazu beitragen, auf stationäre Speicher an anderer Stelle zu verzichten.
Kaum Auswirkungen auf Stromverbrauch durch Elektromobilität
Der Stromverbrauch verändert sich der Analyse zufolge durch die Zunahme an Elektrofahrzeugen – anders als vielleicht erwartet – nur geringfügig. In nahezu allen Verbreitungsszenarien bleibt die zusätzliche Stromnachfrage im kommenden Jahrzehnt vernachlässigbar. Hauke Engel erläutert die Rechnung dazu: Eine Million Elektroautos haben einen Bedarf von 2 bis 3 TWh pro Jahr. Dies entspricht knapp 0,5% des gesamten deutschen Strombedarfs. Selbst ein Anteil von 40% E-Autos am deutschen Gesamtfuhrpark, der erst in Jahrzehnten erwartet wird, wird die Stromnachfrage nur um ca. 40 TWh oder weniger als 10% erhöhen.
„In der Diskussion um die boomende Elektromobilität wird sich zu sehr auf das Thema Übertragung konzentriert, während der Aspekt Verteilung aber immer mehr an Bedeutung gewinnt“, stellt McKinsey-Seniorpartner Vahlenkamp fest. Sein Fazit: „Die Auswirkung der Elektromobilität auf das deutsche Energiesystem sind im Großen klein, aber im Kleinen groß. Hier gibt es dringenden Handlungsbedarf.“
Hintergrund und Methodik
Der Energiewende-Index von McKinsey bietet alle sechs Monate einen Überblick über den Status der Energiewende in Deutschland. Feedback und Rückmeldung dazu sind ausdrücklich erwünscht. Einen detaillierten Überblick über den Index und die untersuchten Indikatoren finden Sie unter www.mckinsey.de/energiewendeindex