Nach Lockdowns im Handel und Fabrikschließungen in Herstellungsländern treffen Lieferkettenprobleme die Modebranche weiterhin hart. Lieferkettensorgen bleiben die Hauptherausforderung der Branche: Drei Viertel der Einkaufschefs von Bekleidungsunternehmen sehen in Lieferstörungen (Shipping Disruptions) die Hauptbedrohung für die Geschwindigkeit und Flexibilität von Lieferketten, gefolgt von Volatilität bei der Nachfrage und der Pandemie. "Hafensperrungen oder -überlastungen, Containermangel und Kapazitätsprobleme bei See- und Luftfracht setzten die Modeindustrie massiv unter Druck. Erstmals werden Lieferstörungen zum größten Kostentreiber“, sagt der Leiter der Modeindustrieberatung bei McKinsey in Deutschland, Senior Partner Karl-Hendrik Magnus. 82% der befragten Einkaufschefs nennen Lieferstörungen als Treiber mit dem größten Einfluss, steigende Löhne in den Produktionsländern, bislang immer einer der Toptreiber, werden dagegen nur von 21% genannt. „Die Ära der Deflation der Einkaufskosten ist an ihrem Ende angelangt“, sagt Patricio Ibanez, Co-Autor der Studie und Partner bei McKinsey. "Jedes zweite Unternehmen hat bereits begonnen, umfassende Transformationen einzuleiten, um Geschwindigkeit und Flexibilität im Sourcing zu erhöhen.“
Das sind zentrale Ergebnisse der Studie „Revamping fashion sourcing: speed and flexibility to the fore““ von McKinsey & Company. Für die internationale Studie befragte die Unternehmensberatung 38 Einkaufschefs von führenden Bekleidungsunternehmen und -Händlern aus Nordamerika und Europa, die zusammen für rund 100 Mrd. US-Dollar Einkaufsvolumen verantwortlich sind.
Nearshoring, Resilienz und Nachhaltigkeit werden wichtiger
Um konkurrenzfähig zu bleiben, sind schnelle Reaktionszeiten und Resilienz der Lieferketten heutzutage ein Muss für Modeunternehmen. In den letzten Monaten haben immer mehr Unternehmen Ergebniseinbrüche gemeldet, da Neuware oder Nachlieferungen zu spät in den Handel gelangt sind, Warenüberhänge in der Saison abgeschrieben werden oder das Sortiment nicht den Nerv der Konsument:innen getroffen hat. Ein Weg, um flexibler auf Risiken in der Lieferkette und auf aktuelle Trends zu reagieren sowie die Produktion nach Abverkaufsdaten zu steuern sind verkürzte Transportwege. Trotz der höheren Beschaffungskosten planen fast drei Viertel der Befragten, ihren Nearshoring-Anteil zu erhöhen, d.h. Mode aus nahegelegenen Ländern einzukaufen.
Zum ersten Mal ist die Türkei in der Top 3 der interessantesten Einkaufsländer für die kommenden Jahre gelandet. Für den europäischen Markt ist die Türkei ausgesprochen interessant. Beispielsweise dauert der Transport aus der Türkei nach Deutschland drei bis sechs Tage, im Vergleich dazu benötigt ein Kleidungsstück aus Südostasien bis zu 30 Tage mit dem Schiff. Für den US-Markt ist Zentralamerika noch mehr in den Fokus gerückt. Darüber hinaus gewinnt auch die Rückverlagerung ins eigene Land an Bedeutung: 24% der Einkaufschefs sehen in der Erhöhung des Reshoring-Anteils eine Option.
„Ein weiterer Vorteil des Nearshoring ist mehr Nachhaltigkeit durch die Verkürzung der Transportwege und damit weniger Treibhausgase. Außerdem ermöglicht Nearshoring mehr kurzfristigere Produktion in der Saison, was auch die Überproduktion reduziert", erklärt Saskia Hedrich, Co-Autorin des Reports. Eine Entwicklung, die auch dadurch unterstützt wird, dass 53 % der Unternehmen planen, die Anzahl der Sortimentsoptionen in den nächsten Jahren durch die stärkere Nutzung von Analytics, die ein smarteres und kundenorientiertes Design von Produkten gewährleistet, zu reduzieren. Ein Trend, von dem alle Seiten profitieren könnten: die Kund:innen durch besser auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Produkte, die Unternehmen durch besseren Abverkauf bei vollem Preis und die Umwelt durch weniger Warenüberhänge und damit Bekleidungsmüll.