Um den steigenden Strombedarf zu decken und die erwartete Bedarfslücke von 200 Gigawatt Erneuerbarer Energien zu schließen, muss sich die Ausbaugeschwindigkeit von Windparks an Land verdoppeln, auf See verdreifachen und die von Solaranlagen mehr als vervierfachen - Möglicher Wegfall von Stromkapazitäten durch Ausstieg aus Kohle und Atomkraft erfordert zum Ausgleich bis 2030 zudem jährlich den Bau von mindestens zwei neuen, flexibel einsetzbaren Kraftwerken - Energiewende-Index zeigt: Nur noch drei von 15 Indikatoren sind in ihrer Zielerreichung bis 2030 stabil realistisch – sieben stehen auf der Kippe, fünf sind unrealistisch
Energiewende-Index März 2022 : die 15 Indikatoren im Überblick
Im aktuellen Energiewende-Index von McKinsey sind drei Indikatoren in ihrer Zielerreichung bis 2030 realistisch: Der
Haushaltsstrompreis ist erstmals seit Jahren wieder im realistischen Zielkorridor, d.h., die Abweichung vom europäischen Durchschnitt liegt wieder auf dem Niveau des Index-Startjahres 2012. Grund ist jedoch der Vergleich zur Preisentwicklung in den europäischen Ländern, den der Indikator abbildet: Demnach lag der hiesige Haushaltsstrompreis Ende 2021 nur noch 22,7% über dem europäischen Durchschnitt; ein Jahr zuvor betrug die Differenz noch 48%. Dass sich die Schere nun schneller schließt als erwartet, liegt am massiven Preisanstieg von 38% im Ausland, während der Strom in Deutschland 2021 nur um 10% teurer wurde. Ob der Indikator in seiner Zielerreichung realistisch bleibt, ist jedoch fraglich: Höhere Erdgaspreise dürften den Haushaltsstrompreis 2022 nach oben treiben. Allerdings könnte der geplante Wegfall der EEG-Umlage mittelfristig zumindest teilweise wieder entlastend wirken.
Für den Indikator
Verfügbare Kapazität für Import aus Nachbarländern wurden bislang keine neuen Daten vorgelegt. Damit verbleibt dieser Indikator im realistischen Bereich: Bei Bedarf kann Deutschland aus seinen Nachbarländern genügend Strom importieren und hat dafür auch die technischen Kapazitäten. Auch für den
Ausfall Stromversorgung gilt: Zielerreichung absehbar positiv: Im Startjahr 2012 betrug der Ausfall noch 17 Minuten, 2021 sogar nur 10,7 Minuten im Jahr.
Sieben Indikatoren stehen auf der Kippe
Sieben der momentan noch als realistisch eingestuften Indikatoren stehen mittelfristig auf der Kippe. Der
CO2e-Ausstoß stieg nach ersten Hochrechnungen 2021 um rund 33 Mio.t auf 772 Mio. t CO2e – eine Verschlechterung von 4,5% gegenüber dem ersten Corona-Jahr 2020. Laut Agora Energiewende ist der Emissionsanstieg vor allem auf vermehrte Kohleverstromung und wieder höheren CO2-Ausstoß in der Industrie zurückzuführen. Beide Faktoren gehen auf die gesamtwirtschaftliche Erholung zurück. Damit wird das 2020-er-Ziel von 750 Mio. t, das im Pandemiejahr 2020 noch erreicht wurde, wieder deutlich verfehlt. Um auf den Reduktionspfad bis 2030 zurückzukehren, müssten von nun an pro Jahr rund 37 Mio. t CO2 eingespart werden.– in den vergangenen zehn Jahren gingen die Emissionen im Schnitt um weniger als 15 Mio. t pro Jahr zurück.
Der
Primärenergieverbrauch ist 2021 gegenüber dem Vorjahr stark gestiegen – von 11.890 auf 12.193 Petajoule. Auch dieser Anstieg lässt sich auf die wirtschaftliche Erholung und die nachlassenden Corona-Effekte zurückführen. Der
EE-Anteil am Bruttostromverbrauch sinkt von 45% in 2020 auf nur noch 42% in 2021. Der Rückgang ist vor allem auf einen gestiegenen Strombedarf und ungünstige Witterungsverhältnisse zu Beginn des Jahres 2021 zurückzuführen. Obwohl der Ausbau der Erneuerbaren bereits seit Längerem stockt, war die Zielerreichung des Indikators bisher nicht in Gefahr. Mit dem neuen Ziel der Bundesregierung, den EE-Anteil bis 2030 auf 80% zu erhöhen, wird es jedoch zunehmend unwahrscheinlich, dass Deutschland auf dem Zielpfad bleibt.
Der Anteil der
Gesamtenergiekosten Haushalte am Gesamtwarenkorb der Verbraucher stieg zuletzt von 9,8% auf 10,3% und durchbricht damit die angepeilte Grenze von 10,1%. Grund hierfür sind gestiegene Preise für Kraftstoff, aber auch für Erdgas. Im Schnitt zahlte ein vierköpfiger Haushalt 2021 rund 260 € mehr für Energie als im Jahr zuvor.
Für die Indiktoren
Arbeitsplätze in erneuerbaren Energien und
EE-Anteil am Bruttoendenergieverbrauch liegen noch keine neuen Daten vor. Ebenfalls unverändert bleibt die
gesicherte Reservemarge. Der geplante Kohle- und Atomausstieg jedoch wird die gesicherte Kapazität in den kommenden Jahren sukzessive schrumpfen lassen. Bis 2030 werden voraussichtlich rund 25 GW Leistung vom Netz gehen – bei einem früheren Kohleausstieg zum Ende dieses Jahrzehnts stünden sogar 52 GW weniger zur Verfügung als 2021.
Fünf Indikatoren mit unrealistischer Zielerreichung
Sektorkopplung Wärme: Der Anteil der Erneuerbaren am Endenergieverbrauch im Bereich Wärme und Kälte lag 2021 bei 14,8% und hat sich damit seit 2015 um weniger als einen Prozentpunkt verbessert. Bisher befand sich der Indikator trotzdem noch auf dem Zielpfad, da für 2030 lediglich 27% EE-Anteil vorgegeben wurden. Mit der Anhebung des Ziels auf 50% fällt der Erreichungsgrad nun aber auf 58% und damit in die Kategorie „unrealistisch“.
Der Indikator
Sektorkopplung Verkehr hat sich auf Grund der neuen Ziele der Bundesregierung verschlechtert: Statt wie bisher sieben Mio. Elektrofahrzeuge sollen es nun 2030 bereits 15 Mio. sein. Zwar übersprang die Zahl der Zulassungen 2021 erstmals die Millionenmarke – ein Plus von 140% im Vergleich zum Vorjahr. Ganz unerreichbar ist das 2030-er-Ziel dennoch nicht, da die E-Mobilität derzeit exponentiell wächst, während der Energiewende-Index in seiner Berechnung von einer linearen Entwicklung ausgeht.
Die
Kosten für Netzeingriffe sind mit aktuell 9,6 Euro pro MWh weiter denn je von ihrem 1-Euro-Ziel entfernt. Gegenüber 2020 hat sich dieser Wert auf Grund gestiegener Redispatch-Maßnahmen noch einmal deutlich verschlechtert: Die Gesamtkosten für Netzengpassmaßnahmen lagen allein im ersten Halbjahr 2021 bei über 800 Mio. Euro.
Kaum weitere Fortschritte gab es beim Indikator
Ausbau Transportnetze: Zwar wurden in den vergangenen beiden Quartalen rund 150 km fertiggestellt; die Gesamtlänge beträgt jetzt 1.848 km. Allerdings bleibt der Ausbau weit hinter dem Zielwert von 4.400 km zurück. Der
Industriestrompreis ist im ersten Halbjahr 2021 in Deutschland weniger stark gestiegen als im Ausland, liegt aber immer noch 37% über dem europäischen Durchschnitt (Vorhalbjahr: 44%).