Die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen birgt eine 42 Mrd. Euro-Chance - pro Jahr. Das entspricht rund 12% der gesamten jährlichen Gesundheits- und Versorgungskosten von zuletzt 343 Mrd. Euro. Durch den Einsatz digitaler Technologien können Versorgungsqualität und Kosteneffizienz erhöht und gleichzeitig Behandlung und Betreuung von Patienten sowie die Arbeitssituation des Personals im Gesundheitswesen verbessert werden. Das größte Potenzial bieten dabei die elektronische Patientenakte (ePA), Online Interaktionen und -Terminvereinbarungen zwischen Arzt und Patient sowie die Fernüberwachung und -unterstützung von chronisch Erkrankten. Dies sind die zentralen Ergebnisse einer neuen Studie von McKinsey & Company mit dem Titel „Digitalisierung im Gesundheitswesen: die 42-Miliarden-Euro-Chance für Deutschland“.
„Richtig eingesetzt kann die Digitalisierung im Gesundheitsbereich massiven Nutzen stiften. Wir reden von einer 42-Milliarden-Euro-Chance, von der alle im Gesundheitswesen profitieren könnten“, sagte McKinsey-Partner Stefan Biesdorf, Co-Autor der Studie, bei der Vorstellung der Ergebnisse am Dienstag in einer Online-Präsentation vor Journalisten.
„Das Potenzial der Digitalisierung im Gesundheitswesen hat sich innerhalb von vier Jahren um rund 8 Mrd. Euro oder 24% erhöht“, erläuterte McKinsey Junior Partnerin Kristin Tuot, ebenfalls Co-Autorin der Studie, das aktuelle Ergebnis. Sie verwies dabei auf die Vorgängerstudie von 2018, für die McKinsey erstmals auf Basis von mehr als 500 internationalen Forschungsdokumenten das finanzielle Potenzial von 26 verfügbaren digitalen Gesundheitstechnologien in Deutschland auf 34 Mrd. Euro beziffert hatte. „Davon wurden in den vergangenen Jahren nur rund 1,4 Mrd. Euro realisiert“, stellte Kristin Tuot fest. Das seien zwar erste, aber noch keine einschneidenden Erfolge. Zudem sei das Potenzial angesichts weiter steigender Gesundheitsausgaben und der dynamischen Entwicklung der Digitalisierung seither gestiegen. So habe sich beispielsweise durch die Corona-Pandemie gezeigt, dass einige Technologien wie z.B. Online-Sprechstunden und -Terminvergaben einen erheblich größeren Nutzen hätten als 2018 vermutet.
Digitalisierung der Patientendaten bringt den größten Nutzen
Für die Studie hat McKinsey das Nutzenpotenzial von 26 digitalen Gesundheitstechnologien analysiert und in sechs Lösungskategorien zusammengefasst:
(1) Online-Interaktionen, z.B. durch Telekonsultation oder Fernüberwachung und Managment chronisch Erkrankter. Diese Lösungen reduzieren vor allem den Zeitaufwand bei Patienten und Ärzteschaft.: 12,0 Mrd. Euro (2018: 8,9 Mrd. Euro)
(2) Umstellung auf papierlose Datenverarbeitung, z.B. durch die eletronische Patientenakte und eRezept: 9,9 Mrd. Euro (2018: 9,0 Mrd. Euro)
(3) Arbeitsabläufe/Automatisierung, z.B. durch die mobile Vernetzung von Pflegepersonal oder die auf Barcodes basierte Verabreichung von Medikamenten: 6,7 Mrd. Euro (2018: 6,1 Mrd. Euro)
(4) Entscheidungsunterstützung durch Datentransparenz, z.B. durch den Einsatz von Software, um Doppeluntersuchungen von Patienten zu vermeiden: 6,4 Mrd. Euro (2018: 5,6 Mrd. Euro)
(5) Patientenselbstbehandlung, z.B. durch Gesundheits-Apps oder digitale Diagnosetools: 4,6 Mrd. Euro (2018: ebenfalls 4,6 Mrd. Euro)
(6) Patienten-Self-Service , etwa Onlineportale zur Terminvereinbarung: 2,5 Mrd. Euro (2018: ebenfalls 2,5 Mrd. Euro).
Produktivitätssteigerung einerseits – Nachfragereduzierung andererseits
Das Potenzial von 42 Mrd. Euro setzt sich McKinsey zufolge aus verschiedenen Komponenten zusammen, von denen alle Akteure im Gesundheitswesen profitieren – durch Produktivitätssteigerung einerseits bei den Leistungserbringern (61%) und und durch Nachfragereduzierung (39%) andererseits. Die Produktivitätssteigerungen bei den Leistungserbringern (25,8 Mrd. EUR) verteilen sich auf die stationäre Krankenhausversorgung (12,4 Mrd. EUR), die ambulante (hausärztliche) Versorgung (11,1 Mrd. EUR) und andere Bereiche (2,3 Mrd. EUR), z.B. die Langzeitpflege. Die Ressourcenverwaltung durch Radiofrequenz-Identifikation (RFID) etwa verbessere die Effizienz des Personals und reduziere Inventarverluste in Akutkrankenhäusern. „Das kommt den Patienten zugute, da ärztliches und anderes medizinisches Personal mehr Zeit für wertschöpfende Tätigkeiten hat“, stellte Stefan Biesdorf fest.
Die Verringerung des medizinischen Bedarfs (16,4 Mrd. EUR) resultiere aus der Vermeidung unnötiger Doppeluntersuchungen oder einer Verlagerung hin zu weniger invasiven Untersuchungsmethoden. Das verbessere gleichzeitig die Qualität der Behandlung und die Patientenerfahrung. Als Beispiel nannte Kristin Tuot die Reduzierung der stationären Krankenhausaufenthalte chronisch kranker Menschen dank Fernüberwachung.
Die Digitalisierung verspreche darüber hinaus einen Nutzen auch für angrenzende Bereiche der Wertschöpfungskette. Ein besserer Datenaustausch z.B. eröffne die Möglichkeit einer gezielteren pharmazeutischen Forschung und Entwicklung mit einer entsprechend höheren Wirksamkeit von Therapien.
Fünf Technologien erschließen zusammen mehr als die Hälfte des Potenzials
Betrachtet man die 26 digitalen Technologien im Einzelnen, sind wie 2018 einige Technologien besonders relevant: Fünf der 26 priorisierten Technologien machen mit fast 22 Mrd. EUR über die Hälfte des gesamten Nutzenpotenzials von 42 Mrd. EUR aus. An der Spitze steht wie schon 2018 die ePA. Ihr flächendeckender Einsatz ermöglicht McKinsey zufolge einen Nutzen in Höhe von 7,0 Mrd. EUR, das sind noch einmal 9% mehr als 2018. Auf den weiteren Plätzen folgen Telekonsultation (5,7 Mrd. EUR), Fernüberwachung chronisch kranker Menschen (4,3 Mrd. EUR), elektronische Terminvereinbarung (2,5 Mrd. EUR) und Tools für das Management chronisch Erkrankter (2,4 Mrd. EUR).