Der europäische Lebensmitteleinzelhandel verzeichnete im Jahr 2022 den stärksten Gewinnrückgang seit fünf Jahren. Durch die zunehmende Zurückhaltung der Verbraucher auf Grund der Inflation sank der Umsatz inflationsbereinigt um 7,1%. Gleichzeitig wächst der Bedarf an Investitionen in Technologie, Nachhaltigkeit und Talente. Positiv sticht der Online-Handel für Lebensmittel heraus: Hier blieben die im COVID-19-Zeitraum verzeichneten Zuwächse in den meisten Ländern weiterhin stark. Der zunehmende Marktdruck auf die Lebensmitteleinzelhändler erhöht den Bedarf an Innovationen, Skaleneffekten und Investitionen in die nachhaltige Sicherung des Geschäfts.
Das sind die wichtigsten Erkenntnisse des State of Grocery 2023 Reports, der von McKinsey & Company zusammen mit dem Branchenverband EuroCommerce veröffentlicht wird. Der Bericht untersucht die Trends, die den Lebensmitteleinzelhandel in den kommenden Jahren prägen werden. Die Ergebnisse basieren auf Interviews mit CEOs, einer Umfrage unter 50 führenden Lebensmittelhändlern sowie einer Befragung von über 12.000 Verbraucher:innen aus neun europäischen Ländern, darunter Deutschland.
Leichtes Wachstum für deutschen Lebensmitteleinzelhandel
Der deutsche Markt verzeichnete 2022 trotz Ende des Covid-getriebenen Booms in den Vorjahren ein leichtes Umsatzwachstum von 0.9%. Haupttreiber für das Wachstum waren Preiserhöhungen (Inflation) im Umfang von 12,5%. Diese wurden durch einen Rückgang des Marktvolumens (-4,5%) sowie das Ausweichen der Konsumenten auf günstigere Alternativprodukten („Down Trading“) (-6,1%) jedoch fast vollständig kompensiert.
Gewachsen sind primär der der Onlinehandel (+6,7% gegenüber dem Vorjahr) und die Discounter (+7,6%), während die Umsätze in Super- und Hypermärkten rückläufig waren. Dass die Verbraucher:innen in diesem hohen Maße auf günstigere Produkte ausweichen und zu den Discountern wechseln, ist für den deutschen Markt einmalig. Ursache ist primär die Inflation. Sie lässt Verbraucher:innen zunehmend preisempfindlicher reagieren und Ausgaben reduzieren. So geben die Teilnehmer der Verbraucherumfrage an, dass für sie die Bedeutung von Gesundheit und Qualität der Produkte abnimmt (-11%).
Die weiteren Trends im Überblick:
- Die Verbraucher bleiben auch 2023 vorsichtig, das Einzelhandelsvolumen für Lebensmittel wird 2023 gegenüber dem letzten Jahr unverändert voraussichtlich bleiben. Von den deutschen Verbraucher:innen planen 55% weiterhin, mehr Geld bei Nahrungsmittel zu sparen. Erst in der zweiten Jahreshälfte ist mit einer Entspannung zu rechnen.
- Die Polarisierung zwischen Gruppen mit höherem und niedrigem Einkommen nimmt ab, da alle Segmente aufgrund der steigenden Lebenshaltungskosten preisempfindlicher werden.
- Der anhaltende Margendruck wird den Wettlauf um Skaleneffekte noch verstärken. Steigende Erzeugerpreise, Lohnsteigerungen und die hohen Zinssätze werden sich weiterhin auf die Rentabilität des Einzelhandels auswirken. Dem anhaltenden Margendruck planen die Detailhändler mit einem weiteren Ausbau der Eigenmarken, härteren Lieferantenverhandlungen und Effizienzsteigerungen durch Digitalisierung und Automatisierung zu begegnen.
- Kunden wollen 2023 trotz Inflation wieder vermehrt online einkaufen, während sich die Händler darauf fokussieren, das verlustbringende Onlinegeschäft profitabel zu machen. Reine Online-Anbieter wachsen dabei schneller als die etablierten Unternehmen und erwarten bereits in diesem Jahr profitabel zu werden. Noch lieber als Lebensmittel bestellen Konsument:innen fertige Mahlzeiten. Der Markt für die Lieferung von Mahlzeiten wächst in Bezug auf Wert und Marktdurchdringung schneller als der Online-Handel für Lebensmittel. I
- nvestitionen in Technologie und Automatisierung beschleunigen sich. Die bis zum Jahr 2030 erforderlichen Investitionen in Technologie werden auf 45-55 Mrd. € geschätzt. Advanced Analytics wird immer wichtiger, mit dem Potenzial, das Ergebnis um bis zu 1 Prozentpunkt pro Jahr zu verbessern. Generative Künstliche Intelligenz entwickelt sich zu einem Pionier für Marketing und Kundensupport.
- Die Branche wird ihre Bemühungen zur Beschleunigung der Dekarbonisierung weiter verstärken. Die Zahl der großen Einzelhändler in Europa, die sich der Initiative für wissenschaftsgestützte Ziele (SBTi) angeschlossen haben, ist 2022 von 56 auf 110 gestiegen. Die Lebensmitteleinzelhändler spielen eine wesentliche Rolle bei der Reduktion von CO2-Emissionen – mehr als 30% der CO2e-Emissionen der EU fallen in der Produktionskette von Lebensmitteln an und entsprechend sind auch die Händler beteiligt.
Daniel Läubli, globaler Leiter der Lebensmitteleinzelhandels-Practice bei McKinsey, sagt: „Herausforderungen bieten auch immer Chancen für diejenigen, die mutig handeln. Wenn die Einzelhändler ihren Kunden preisgünstigere Alternativen bieten und weiter an ihrer Effizienz arbeiten, schaffen sie dadurch Raum für Investitionen in Wachstum und Nachhaltigkeit und können so gestärkt aus dieser Krise hervorkommen."
Christel Delberghe, Generaldirektorin von EuroCommerce, erklärt: „Die Verbraucher vor inflationärem Druck und steigenden Energiekosten zu schützen, war für Einzelhändler und Großhändler in Europa eine große Herausforderung, denn dadurch wurde der Druck auf die bereits sehr niedrigen Margen noch weiter erhöht. Gleichzeitig investierten die Einzelhändler in Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Fertigkeiten. Vor allem letztere Themen sind für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen von wesentlicher Bedeutung, wie unser Bericht zeigt."