Makroökonomische Wettbewerbsfähigkeit herausfordernd – Energiekosten in Europa 2-3 mal höher als bei Wettbewerbern
"Die europäische Autoindustrie erlebt derzeit einen ‚perfekten Sturm‘ – sie muss nicht nur dieTransformation hin zur mehr Nachhaltigkeit und Digitalisierung meistern, sondern ist gleichzeitig auch mit ungünstigen geopolitischen und makroökonomischen Faktoren konfrontiert“, sagt Andreas Cornet, Senior Partner von McKinsey und Co-Autor der Studie. Die Energiekosten liegen für die europäische Autoindustrie 2-3 mal höher als in China und den USA, die Risiken durch geopolitische Spannungen für die Lieferketten nehmen zu. Gleichzeitig hält sich die Inflation in Europa deutlich hartnäckiger als in den USA und China.
„Die Autoindustrie kann jedoch immer noch aus einer Position der Stärke heraus agieren“, so Cornet. Die europäische Autoindustrie ist am Umsatz gemessen immer noch drei mal so groß wie die chinesische, sie beschäftigt mit fast 14 Mio. Menschen rund 6% aller Arbeitnehmer in Europa – und ist ein Innovationstreiber. Fast 30% der gesamten Forschungs- und Entwicklungsausgaben der EU entfallen auf die Autoindustrie, die jährlich rund 60 Mrd. Euro investiert. Fünf der zehn wertvollsten Automobilmarken sind europäisch – der Markenwert der zehn größten europäischen Hersteller liegt bei über 200 Mrd. Euro.
„Nun gilt es, diesen entscheidenden Wettbewerbsmoment aktiv zu nutzen und weiter zu beschleunigen“, sagt Ruth Heuss, Senior Partner und Co-Autorin der Studie. „Dazu bedarf es einer ganzheitlichen Betrachtung des Mobilitäts-Ökosystems und in der Konsequenz eines Schulterschlusses zwischen Herstellern, Zulieferern und der Politik. Auch angrenzende Industrien wie die Energiewirtschaft und die Halbleiterbranche sind gefordert.“ Die Warnzeichen für die Automobilindustrie verdichten sich: Seit 2019 haben europäische Hersteller 6 Prozentpunkte Marktanteil auf ihrem Heimatmarkt verloren; auch in China sank der Marktanteil um 5 Prozentpunkte. Gleichzeitig bauten die chinesischen Hersteller ihren Marktanteil in China auf über 45% aus; bei den E-Autos halten neue Wettbewerber global sogar 51% Marktanteil bei den Neuzulassungen. „Ganz klar: Europäische Hersteller haben diese Herausforderungen angenommen und stecken mitten in der Transformation“, so Heuss. Bis 2030 haben europäische Hersteller mehr als 150 neue batterieelektrische Fahrzeuge angekündigt.
Batterien: 70% der Zellen kommen aus China
Bei Batterien und der Software haben sich die Wettbewerbsbedingungen ebenfalls verschärft. Seit 2015 hat sich der Softwareanteil im Fahrzeug verdreifacht – Halbleiter und Batterien werden zu entscheidenden Faktoren in der Wertschöpfungskette. Allerdings ist insbesondere bei Batterien die Abhängigkeit von China groß: 90% der Kapazitäten zum Raffinieren von Lithium liegen in China, mehr als 70% der Zellen werden in China gefertigt.
Es gelte nun, so Heuss, die Wettbewerbsfähigkeit mit Hilfe eines Masterplans zu schärfen und so die Grundlage für den Erfolg in den kommenden Jahrzehnten zu legen. Eine klare Roadmap, kraftvolle Beschleuniger wie beispielsweise der Aufbau der Ladeinfrastruktur und gemeinsame Plattformen zur Zusammenarbeit können die Transformation der Industrie beschleunigen. Sieben Bereiche bieten sich an:
- Klassische Stärken in Kundenverständnis, Design und Marke stärken: Marken bleiben wichtig und gehören in China, Europa und den USA gleichermaßen zu den Top-5-Kaufkriterien für Autos. Allerdings verändern sich die Faktoren, die eine Marke ausmachen. Ein besseres Kundenverständnis und eine perfekte Begleitung über den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs ist notwendig – vom Kauf über Wartung, Updates und Ladevorgänge bis hin zum Recycling.
- Fokus auf Agilität und Entwicklungsgeschwindigkeit legen: Chinesische Hersteller haben bei E-Autos aktuell einen Kostenvorteil von 20 bis 30%. Europäische Autobauer könnten diese Lücke weitgehend schließen, wenn sie ihre Fahrzeuge noch viel stärker am tatsächlichen, europäischen Nutzerverhalten ausrichten würden. Zudem könnten sie durch eine Integration der Batteriewertschöpfung und neue Batteriechemien kostengünstiger anbieten. Ein weiterer Hebel sind schnellere Entwicklungszyklen – während europäische Hersteller rund 4 Jahre von der Konzept- zur Pilotphase eines Fahrzeugs brauchen, schaffen die besten chinesischen Hersteller dies in 21 Monaten.
- Eine neue China-Strategie entwickeln: China bleibt der wichtigste Automarkt der Welt – daher gilt es, die Erosion des Marktanteils – minus 5 Prozentpunkte seit 2019 – zu stoppen. Eine stärkere Anpassung an den chinesischen Kundengeschmack mit einem starken Fokus auf die neueste Technologie, Konnektivität, Fahrassistenzsysteme und Unterhaltungselektronik kann ein Weg sein. Dazu gehört in der Konsequenz auch eine stärkere Forschungs- und Entwicklungsarbeit vor Ort.
- Resiliente, zirkuläre und nachhaltige Lieferketten schaffen: Die Halbleiterkrise hat neben anderen Faktoren zu 11 Mio. weniger produzierten Autos geführt – belastbare Lieferketten sind essentiell für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. Die mögliche Lücke für Batterien im Jahr 2030 beträgt fast 40% – Europa könnten 500 GWh an lokaler Kapazität fehlen. 20 zusätzliche Batteriefabriken mit einem Investitionsvolumen von 35 Mrd. Euro würden benötigt. Auch bei den Halbleitern ist die Versorgung nicht gesichert. 37 neue Werke mit einem Investitionsvolumen von 190 Mrd. Euro könnten das Risiko mindern. Gleichzeitig sollte Europa daran arbeiten, zirkuläre Systeme aufzubauen, um Batterien zu recyceln und so Abhängigkeiten zu verringern.
- Wettbewerbsfähige Zulieferer in Europa aufbauen: Europa sollte in wichtigen Zukunftsfeldern wie Batterien und Halbleitern global agierende Unternehmen skalieren, die auf Augenhöhe mit ihrer Konkurrenz sind. Strategische Partnerschaften und eine enge Einbindung in die Forschungslandschaft könnten helfen, Weltklasse-Spieler zu entwickeln.
- Roadmap für Fahrassistenzsysteme und autonomes Fahren kreieren: Fahrassistenzsysteme werden für Kunden bei ihrer Kaufentscheidung immer wichtiger – 51% würden für bessere Assistenzsysteme die Marke wechseln. Eine stärkere Zusammenarbeit bei der Defintion technischer Standards und der gemeinsamen Nutzung von Daten könnten helfen, dass europäische Hersteller vorne dabei sind. Dafür müsste jedoch ein entsprechender Rechtsrahmen geschaffen werden.
- Talente und Fähigkeiten weiterentwickeln: Software wird im Auto der Zukunft das wichtigste Element sein – doch nur 15 bis 20% der aktuellen Belegschaft in der Autoindustrie haben Software-Kenntnisse. Bei den Herausforderern aus USA und China liegt der Anteil bei 45%. Auch in diesem Bereich kann eine stärkere Zusammenarbeit mit Hochschulen und die Unterstützung relevanter Studiengänge eine Lösung sein.