Im letzten Jahr haben Quantentechnologien (QT) deutliche Fortschritte erzielt. Sie rücken damit immer näher in die Position, Probleme zu lösen, die mit herkömmlichen Technologien nicht oder nur unter großem finanziellen Aufwand zu lösen sind. Gleichzeitig beflügelt der technologische Fortschritt die wirtschaftlichen Prognosen. So zeigt der neue „McKinsey Quantum Technology Monitor 2023“, dass die Automobil-, Chemie-, Finanz- und Biowissenschaftsbranche durch den Einsatz von Quantencomputing bis zum Jahr 2035 ein mögliches Wertschöpfungspotenzial von bis zu 1,3 Billionen US-Dollar erzielen können. Wertschöpfungspotenzial bezieht sich im Kontext der Studie auf zukünftige Umsatzerlöse und Kosteneinsparungen. Den größten ökonomischen Effekt könnten Anwendungsfälle für Quantencomputing in der Finanzbranche entfalten. Hier liegen die Prognosen zwischen 394 und 700 Milliarden US-Dollar, wobei Corporate Banking, Risk und Cybersicherheit die relevantesten Einsatzbereiche darstellen.
Der Quantum Technology Monitor ist eine turnusmäßig veröffentlichte Marktanalyse, die einmal pro Jahr einen Überblick über den Reifegrad der Quantenindustrien, ihrer Akteure und Investitionen liefert. Sie basiert u.a. auf proprietären Daten, externen Datenbanken und Experteninterviews. Berücksichtigt werden die Quantentechnologien Quantum Computing (QC), Quantum Communications (QC) und Quantum Sensing (QS).
Die öffentlichen und privaten Investitionen in Quantentechnologien konnten im Jahr 2022 an die starken Zahlen des Vorjahrs anschließen. Trotz der weiterhin starken Investitionen verloren jedoch alle notierten Quantum-Unternehmen massiv an Wert – sie büßten durchschnittlich 74% ihres Wertes seit IPO ein. Insgesamt flossen im vergangenen Jahr 2,35 Milliarden US-Dollar Investitionskapital in Quantum Start-ups – plus 1% im Vergleich zu 2021. Gleichzeitig sank die Zahl der weltweit neu gegründeten Quantum-Start-ups deutlich von 40 in 2021 auf 17 im vergangenen Jahr. „2022 war vor allem ein Jahr der großen Deals und der Entwicklung von Anwendungsszenarien. Vier der zehn größten Investitionsabschlüsse aller Zeiten in Quantum Start-ups kamen letztes Jahr zustande“, sagt Niko Mohr, Partner im Düsseldorf Büro von McKinsey und globaler Leiter des Bereichs für Quantentechnologien.
Auch die öffentliche Hand stellt für die Entwicklung von Quantentechnologien weiter Kapital zur Verfügung. So investierte die EU im Jahr 2022 insgesamt 1,2 Milliarden US-Dollar in Quantentechnologien, die USA insgesamt 1,8 Milliarden. Die Investitionsausgaben Chinas in Quantentechnologie übersteigen diese Summen mit 15,3 Milliarden US-Dollar aber bei weitem. Auch die deutsche Bundesregierung kündigte jüngst die Bereitstellung von 3 Milliarden Euro Investitionsmitteln bis 2026 an. „Aktuell sehen wir unter Investoren einen stärkeren Fokus auf Wachstumsunternehmen: Investitionen fließen in ausgereiftere Technologien und weniger in Early Stage Start-ups. Dieser Trend deckt sich mit dem allgemeinen Investitionsklima in der Technologiebranche“, so Niko Mohr.
Über die Hälfte der Patente im Bereich Quantentechnologien entfallen auf China
China hat seinen Vorsprung im Hinblick auf QT-Patente auch im Jahr 2022 weiter ausgebaut. So entfallen bis Ende 2022 mehr als die Hälfte aller Patente auf chinesische Organisationen. Europa und Japan liegen mit einem Anteil von je knapp 14% gemeinsam auf Platz zwei.
Bei der Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen zu Quantentechnologien steht Europa auf Platz zwei, knapp hinter China. Obwohl Europa und China mehr wissenschaftliche Veröffentlichungen produzieren (jeweils 22%), sind die Ergebnisse aus den USA (10%) nach dem h-Index relevanter für den QT-Sektor. Der h-Index dient als Indikator für die Relevanz von wissenschaftlichen Veröffentlichungen und berücksichtigt die Anzahl der Referenzen, die auf die jeweilige Veröffentlichung verweisen.
Talentlücke weiterhin groß – Universitäten verdoppeln Anzahl der Master-Studiengänge
In dem Maße, wie das Ökosystem der Akteure der Quantentechnologien wächst, steigt auch die Nachfrage nach Expert:innen. Die Analysen offenbaren eine erhebliche Talentlücke. So entsprechen die universitären Kapazitäten nur etwa einem Drittel der derzeitigen Nachfrage. 2022 gab es weltweit 717 offene Stellen für Jobs mit Bezug zur Quantum-Technologie. Demgegenüber stehen rund 450 jährliche Hochschulabsolvent:innen, die für diese Stellen infrage kommen. Die EU verfügt im globalen Vergleich noch über die höchste Konzentration von QT-Talenten. Hier kommen 303 Talente auf eine Millionen Einwohner. In Großbritannien liegt der Wert bei 217, in den Vereinigten Staaten bei 136 und in China bei 41.
Universitäre Einrichtungen haben diese Talentlücke erkannt und ihre Angebot bezüglich Masterstudiengängen im QT-Bereich weltweit stark ausgebaut. Waren es im Jahr 2021 noch 29 Universitäten, die einen Masterstudiengang in Quantentechnologie anbieten, sind es im Jahr 2022 bereits 50. Mit 16 Bildungseinrichtungen liegt die USA hier klar an der Spitze, gefolgt von Deutschland mit sechs Universitäten, darunter die Ludwig-Maximilians-Universität und die Technische Universität München, RWTH Aachen, TU Kaiserslautern, Technische Hochschule Deggendorf, Universität Würzburg und die Universität des Saarlands. Dennoch zeigt die Analyse, dass nur etwa 28% aller Universitäten, die aktiv im Bereich der Quantentechnologien forschen, auch einen Master-Studiengang anbieten.
Großes Potenzial, die Talentlücke zu schließen, liegt in Weiterbildungsprogrammen. So gibt es rund 350.000 Absolvent:innen aus Studiengängen wie Biochemie, Informations- und Kommunikationstechnologie, oder Physik, die über Wissen verfügen, das gezielt weiterentwickelt werden kann. „Wenn wir in Deutschland und Europa Technologieführerschaft erlangen wollen, müssen wir zügig Bedingungen schaffen, die rasche technologische Fortschritte und den Aufbau eines wettbewerbsfähigen Talentpools begünstigen. Das öffentliche Bildungssystem und Weiterbildungsmaßnahmen von Unternehmen spielen dabei eine entscheidende Rolle", sagt Henning Soller, Partner aus dem Frankfurter Büro von McKinsey und Leiter für Quantum Technology Research.