McKinsey: Deutschland kann bis 2045 Nullemissionsziel kostenneutral erreichen

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Deutschland kann das ambitionierte Ziel der Klimaneutralität bis 2045 zu gesamtgesellschaftlichen Netto-Null-Kosten erreichen: Die Einsparungen durch den Klimaschutz im Gesamtzeitraum bis 2045 können die Kosten der Dekarbonisierung ausgleichen. Voraussetzungen dafür sind der konsequente Umstieg auf grüne Technologien in allen Wirtschaftssektoren und Lebensbereichen sowie schnelles Handeln bereits in den nächsten zehn Jahren. Die bisherige Veränderungsgeschwindigkeit beim Klimaschutz muss sich im Vergleich mit den letzten 30 Jahren verdreifachen, in manchen Sektoren sogar verzehnfachen. Dies sind die zentralen Ergebnisse der Studie „Net-Zero Deutschland – Chancen und Herausforderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2045“ der Unternehmensberatung McKinsey & Company.

„Vor uns als Industrie- und Exportnation liegt eine der wichtigsten und komplexesten Transformationen, die wir je erlebt haben. Alle Unternehmen in Deutschland müssen Nachhaltigkeit als zentralen Bestandteil ihrer Unternehmensstrategie begreifen“, sagte McKinseys Senior Partner und Co-Autor Stefan Helmcke bei der virtuellen Präsentation der Studie am Freitag vor Journalisten. „Die Klimawende kann gelingen und ist trotz aller Herausforderungen für unsere Industrie eine Wachstumschance. Die nächsten zehn Jahre sind entscheidend und wir müssen unsere Anstrengungen deutlich beschleunigen, um die Ziele zu erreichen“, erläuterte Ruth Heuss, Senior-Partnerin und Co-Autorin der Studie, die Notwendigkeit für den konsequenten Umstieg auf grüne Technologien in Deutschland.

1 Billion Euro Zusatzinvestitionen sind erforderlich

Die für die Klimawende benötigten Sachinvestitionen bis 2045 setzen sich McKinsey zufolge zusammen aus 1 Billion Euro Zusatzinvestitionen in „grüne“ Sachgüter, z.B. in neue Anlagen, Fahrzeuge und Wärmetechnik. Hinzu kommen rund 5 Billionen Euro Ersatzinvestitionen. Dabei handelt es sich um Investitionen, die für den Ersatz bzw. die Instandhaltung bereits bestehender Infrastruktur, Anlagen und Gebäude ohnehin aufgewendet werden. Um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, seien diese 5 Billionen Euro zum Zeitpunkt der turnusmäßigen Erneuerung in grüne oder klimaschonendere Güter zu investieren, z.B. in ein Elektrofahrzeug statt in ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. Die Gesamtinvestitionen in Höhe von 6 Billionen Euro entsprechen durchschnittlichen jährlichen Investitionen von rund 240 Milliarden Euro bis 2045 und damit ca. 7% des Bruttoinlandsprodukts – davon sind 40 Milliarden Euro pro Jahr zusätzliche Investitionen (ca. 1% des BIP).

Klimaschutz als Chance für den Industriestandort Deutschland

Durch die Zusatzinvestitionen in neue Technologien könnten eine Reihe von operativen Kosten reduziert werden, z.B. Energiekosten von Gebäuden oder Kraftstoff- und Wartungskosten von Fahrzeugen. Auf diese Weise könne Deutschland von einer gestärkten Position als Industriestandort sowie von neu geschaffenen Arbeitsplätzen profitieren. Ruth Heuss: „Gelingt die Transformation rechtzeitig und erfolgreich, kann Deutschland die Technologieführerschaft in kritischen Exportsektoren aufrechterhalten und deren Beitrag zu Beschäftigung und Wohlstand absichern.“ Dies betreffe bis zu 20% der Arbeitsplätze und bis zu 25% des BIP. Zugleich werde die Transition aber auch Verschiebungen von Arbeitsplätzen auslösen, z.B. von thermischer Stromerzeugung hin zur Wasserstoffproduktion oder von der Herstellung von Verbrennungsmotoren zur Batterieproduktion. In Summe sei aber ein Zuwachs an Beschäftigung zu erwarten, z.B. durch die vermehrten Renovierungen und Installationen von Wärmepumpen im Gebäudesektor oder die Herstellung und Installation von Solar- und Windkraftanlagen.

Zehn Kerninitiativen in fünf Sektoren

 

Um Klimaneutralität in Deutschland bis 2045 zu erreichen, muss der Fokus nach Ansicht von McKinsey auf zehn Kerninitiativen in den fünf emissionsstärksten Sektoren Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft liegen.

Im Energiesektor mit jährlich rund 258 Mt CO2-Emissionen, die vermieden werden müssen, ist die massive Beschleunigung des Kapazitätsaufbaus auf bis zu 650 GW erneuerbarer Energien notwendig. Allein bis 2030 müsse der jährliche Ausbau der Kapazität gegenüber 2020 verdreifacht werden. Außerdem müssen der Ausbau und die Flexibilisierung des Energienetzes vorangetrieben werden. Hier ist eine Erweiterung des Stromnetzes um 25% erforderlich. Konkret geht es dabei um den Ausbau des Stromnetzes bis 2045 auf über 60.000 km sowie die Flexibilisierung des Netzes durch Erhöhung der Energiespeicherkapazitäten und intelligentes Lastmanagement. Beschleunigte Genehmigungsverfahren sind dafür nach Ansicht von McKinsey unabdingbar.

 

Im Industriesektor wird es entscheidend sein, die Dekarbonisierung der Grundstoffindustrie (Stichwort „grüne Materialien“) durch Innovationen in Prozessen und Anlagentechnik voranzutreiben. In der Stahlindustrie geht es dabei neben Effizienzsteigerungen u.a. um die Nutzung von grünem Wasserstoff als Reduktionsmittel zur Herstellung grünen Stahls; in der Chemie u.a. um die Elektrifizierung der Kernprozesse wie Cracking. Die Zementbranche wird große Anstrengungen unternehmen müssen, z.B. bei der Abscheidung und Verwendung von CO2 in synthetischen Kraftstoffen. Diese Veränderungen werden maßgeblich durch Nachfrageänderungen der verarbeitenden Industrie wie z.B. der Automobilbranche getrieben. Hierfür ist auch der beschleunigte Aufbau von „Cleantech“-Enablern erforderlich. Dazu zählen u.a. eine wettbewerbsfähige Wasserstoffwirtschaft oder eine grüne Batteriewertschöpfungskette sowie eine effiziente Kreislaufwirtschaft und, darauf aufbauend, die Veränderung der Rohstoffbasis der Industrie hin zum Einsatz von recycelten Materialien.   

Im Verkehrssektor muss die konsequente Umstellung auf 100% emissionsfreie Mobilität weiter verfolgt werden. Im Zentrum steht hier der flächendeckende Einsatz nachhaltiger Antriebstechnologien (Elektro- und Wasserstoffantrieb) im Individual- und Güterverkehr. Dazu ist für die Elektromobilität nach Berechnungen von McKinsey bis 2030 ein Zubau von rund 2.000 Ladepunkten pro Woche nötig. Auch die Nutzung alternativer, synthetischer Brennstoffe im Luftverkehr ist ein großes Handlungsfeld. Das allein wird jedoch nicht ausreichen: Eine stärkere Nutzung von Micro-, Smart- und Shared-Mobility-Konzepten inklusive autonomer Fahrzeuge wird erforderlich sein, um die Ressourcenproduktivität zu erhöhen.

Im Gebäudesektor wird es nach Ansicht von McKinsey vor allem darauf ankommen, den gesamten Gebäudebestand zu modernisieren, insbesondere durch den Ersatz fossil befeuerter Wärmequellen durch nachhaltige Technologien wie Wärmepumpen und Fernwärme. Hierfür bedarf es der Umsetzung regionalspezifischer Konzepte für den Technologiemix zur klimaneutralen Wärmeerzeugung und Beschleunigung der Sanierungsrate für eine verbesserte thermische Isolierung – dies ist bei rund 55% des aktuellen Gebäudebestands erforderlich.

In der Landwirtschaft könnten CO2-Emissionen durch den Einsatz bereits existierender Technologien reduziert werden. Gelingen könnte dies durch die Skalierung bestehender Technologien wie z.B. anaerobe Güllevergärung in Biogasanlagen oder durch die Entwicklung zukunftsträchtiger Schlüsseltechnologien für eine resiliente und nachhaltige Landwirtschaft (z.B. die Reduktion der Methanausscheidung durch chemisch-biologische Mittel oder die Entwicklung klimaschonenderer Pflanzenvarianten). Darüber hinaus gilt es, in der Gesellschaft den Trend zu gesunder Ernährung zu beschleunigen und nachhaltiges Konsumverhalten zu unterstützen. Zentral sind hier der Ausbau von Regionalität, die Reduktion der Lebensmittelverschwendung sowie die weitere Förderung des bereits existierenden Trends, nachhaltigere Lebensmittel und weniger Fleisch zu konsumieren.

Eine wesentliche Rolle für die Transformation zur Klimaneutralität spielt der Bankensektor, weil er die Finanzierung und Begleitung der Netto-Null-Transformation über den Aufbau eines grünen Portfolios unterstützen kann. Konkret geht es hier um den Ausbau grüner Finanzinstrumente, z.B. ESG-abhängige Finanzierungen, ESG-konformes Asset Management oder die Einführung neuer Instrumente wie freiwilliger CO2-Märkte. Einzelne deutsche Institute nehmen bereits heute eine Vorreiterrolle in Europa ein, wenn es um die Finanzierung erneuerbarer Energien geht. Im Zuge der bis 2045 zu leistenden Investitionen sollte dieses Engagement weiter ausgebaut und über den Energie- und Infrastruktursektor hinaus auf die Industrie und den Mittelstand ausgeweitet werden.


Methodik

Für die Analyse hat McKinsey sytematisch und detailliert die Möglichkeiten zur Dekarbonisierung in jenen fünf Sektoren untersucht, die für 99% der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich sind: Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft. Außerdem betrachtet wurde die Rolle des Bankensektors als wichtigen „Enabler“ für Investitionen in grüne Technologien. Die Studie liefert sowohl konkrete Vorschläge für Initiativen zur Dekarbonisierung in diesen Sektoren als auch zahlreiche Beispiele für erfolgreiche Projekte und Maßnahmen zur Vermeidung von CO2.