7 Fallstricke beim Aufbau von Digitalministerien – und wie sie zu vermeiden sind

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Fallstrick 1: Bestehende Strukturen neu zusammenwürfeln

Werden lediglich bestehende Abteilungen mit relevanten fachlichen Aufgaben aus anderen Ministerien unter einem neuen Dach zusammengeführt, wird kaum neues Denken entstehen.

Vorgehensprinzip: Mit 30 statt 3.000 starten. Für einen echten Neustart empfiehlt es sich, ein handverlesenes Team zusammenzustellen, dessen Mitglieder über passgenaues Fachwissen und Transformationskompetenz verfügen. Ein solches Team könnte z.B. aus ausgewiesenen „Veränderern“ aus der Verwaltung sowie externen Fachleuten bestehen. Dieses Kernteam kann sukzessive erweitert und an bestehende Strukturen angeschlossen werden sowie die strategische Gesamtkoordination übernehmen.

Praxisbeispiel: Singapur hat 2017 das Smart Nation and Digital Government Office (SNDGO) als eine kleine schlagkräftige Einheit innerhalb des Prime Minister’s Office aufgebaut. Das SNDGO hat über mehrere Jahre hinweg die Digitalisierung in Singapur erfolgreich gesteuert. 2023 wurde es in ein neu geschaffenes Ministerium integriert.

 

Fallstrick 2: Neues Haus bauen, statt schnell Ergebnisse zu liefern

Wird der aufwändige Aufbau einer klassischen Ministerialorganisation höher priorisiert als die Arbeit an fachlichen Missionen, lassen Fortschritte auf sich warten.

Vorgehensprinzip: Von Tag 1 an Ergebnisse liefern. Damit die neue Institution von Anfang an greifbare Ergebnisse liefert, sollte der Organisationsaufbau parallel zur Arbeit an fachlichen Missionen stattfinden und zunächst auf ein Minimum beschränkt werden. Für viele praktische Probleme lassen sich pragmatische Lösungen finden, z.B. das temporäre Anmieten von Co-Working Spaces.

Praxisbeispiel: Die Vereinigten Arabischen Emirate haben ein „virtuelles“ Ministerium für die Arbeit an strategischen nationalen Missionen entwickelt. Das „Ministerium der Möglichkeiten“ ist ein Forum für Innovationsprojekte, dessen Team sich projektabhängig aus Mitarbeiter:innen der für das Thema relevanten Ministerien zusammensetzt. Es übernimmt eine Brückenfunktion für Querschnittsthemen und bietet einen Arbeitsraum, der die Erprobung neuer Konzepte und Ideen fördert, ohne dass dafür eine Organisation mit neuen Strukturen aufgebaut wird.

 

Fallstrick 3: Alle Probleme auf einmal lösen wollen

Die Anzahl der Themen mit Digital- oder Transformationsbezug ist groß: Infrastruktur, Regulierung, Verwaltung, Technologieförderung, IT-Sicherheit, Datenschutz etc. Werden sie alle von Anfang an in einem neuen Ministerium verortet, ist die Gefahr groß, dass das neue Team dadurch vollkommen lahmgelegt wird.

Vorgehensprinzip: „First things first“. Damit die Arbeit an den wichtigsten fachlichen Themen schnell vorangeht, können z.B. zehn prioritäre Missionen festgelegt werden, die neue Ansätze benötigen – z.B. flächendeckende Verwaltungsdigitalisierung, souveräne Cloudnutzung, digitale Identität, Neuaufstellung des Personalwesens oder wirkungsorientierte und digitaltaugliche Gesetzgebung. Weitere Themen können danach schrittweise aktiviert werden.

Praxisbeispiel: Dänemark priorisiert und realisiert seine Digitalisierungsziele in mehrjährigen Strategiephasen. Ein Schlüssel des Erfolgs besteht darin, dass sich die Verwaltungsebenen (national, regional, lokal) in der Strategie auf gemeinsame Prioritäten für die Strategielaufzeit verpflichten und ihre Zusammenarbeit auf diese fokussieren. Mit diesem Vorgehen erreicht Dänemark regelmäßig Spitzenplätze in internationalen Digitalisierungsrankings.

 

Fallstrick 4: Augen zu beim Organisationserlass

Zügige Fortschritte und gute Ergebnisse bei den priorisierten Missionen werden verhindert, wenn relevante Aufgaben nur teilweise übertragen werden, eine neue Organisation regelmäßig um wichtige Kompetenzen mit anderen Stellen konkurrieren muss, Budgets dezentral verbleiben und die Beteiligten nicht zusammenarbeiten.

Vorgehensprinzip: Ende-zu-Ende-Verantwortung. Um die prioritären Missionen erfolgreich voranzutreiben, sind alle erforderlichen Kompetenzen, Personen und Budgets ohne Kompromisse an die neue Organisation zu übertragen.

Praxisbeispiel: Mit der Ausgründung des griechischen Digitalministeriums 2019 wurden dem Ministerium weitreichende Kompetenzen gewährt. Es darf z.B. jede größere Technologiebeschaffung aller nationalen Behörden überprüfen. Das Ministerium hat neben der Beschaffungsprüfung auch die Befugnis, Verwaltungsprozesse grundlegend zu ändern, wenn dies der Digitalisierung zugute kommt. Der „Länderbericht zur digitalen Dekade“ der EU-Kommission zeigt, dass sich die Kompetenzbündelung auszahlt: Griechenland liegt bei der Digitalisierung öffentlicher Dienstleistungen für Unternehmen, dank höherer Qualität und größerem E-Government-Portfolio, mit 86,2 Punkten mittlerweile über dem EU-Durchschnitt (85,4).

 

Fallstrick 5: Entscheidungen auf die lange Bank schieben

Wer Richtungsentscheidungen für prioritäre Missionen in oft mehrjährige Abstimmungs- und Beteiligungsprozesse einsteuert, hat am Ende oft keine Zeit mehr, diese noch rechtzeitig umzusetzen.

Vorgehensprinzip: Frühzeitig klare Ziele setzen. Insbesondere für prioritäre Missionen ist es entscheidend, so bald wie möglich nach dem Start einer neuen Organisation die grundsätzliche Richtung festzulegen, damit ausreichend Zeit für die Umsetzung bleibt.

Praxisbeispiel: Das Central Digital and Data Office (CDDO) in Großbritannien wurde 2021 etabliert und hat bald darauf eine Roadmap 2022-2025 vorgelegt, die für sechs prioritäre Missionen konkret beschreibt, wie deren Ziele erreicht werden sollen. Der Fortschritt in diesen Bereichen wird halbjährlich in öffentlichen Berichten transparent gemacht.

 

Fallstrick 6: „Agile washing“ betreiben

Wer traditionelle Hierarchien und Entscheidungswege beibehält und Agilität auf das Einführen eines legeren Dresscodes oder das Duzen beschränkt, wird kaum Veränderungen bewirken.

Vorgehensprinzip: Start-up-Kultur. Um die Vorteile agiler Arbeitsweisen zu erschließen, sollte eine neue Organisation flache Hierarchien schaffen und Abstimmungsformate für schnelle Entscheidungen im Sprintrhythmus einführen. Die klassische Mitzeichnung und Ressortabstimmung sind hingegen auf Ausnahmefälle zu beschränken.

Praxisbeispiel: Das Innovationslabor Baden-Württemberg arbeitet entkoppelt vom täglichen Verwaltungsablauf, mit direkter Steuerung durch die politische Leitungsebene der Landesregierung. So können Projekte deutlich beschleunigt werden. Z.B. ist es gelungen, den souveränen KI-Assistenten F13 innerhalb weniger Monate als Prototyp zu entwickeln. Nach etwa 1,5 Jahren Projektlaufzeit wurde er in der gesamten Landesverwaltung ausgerollt und Behörden in ganz Deutschland angeboten.

 

Fallstrick 7: Den Umsetzungsmuskel vernachlässigen

Ein neues Haus für Digitalisierung und Transformation kann die Entscheidungs- und Steuerungsfähigkeit in diesen Bereichen verbessern. Alle IT- und Digitalprojekte eigenständig zu konzeptionieren und umzusetzen, führt jedoch zur organisatorischen Überforderung.

Vorgehensprinzip: Eigenleistung stärken sowie externe Lösungen und Partnerschaften nutzen. Ein konsolidierter IT-Dienstleistungsarm der Verwaltung kann starke eigene Kompetenzen aufbauen und zugleich den Einsatz externer Fähigkeiten steuern. Zudem zahlt es sich aus, vermehrt auf bestehende Standardlösungen zu setzen, statt alles neu zu entwickeln.

Praxisbeispiel: 2010 führte die dänische Digitalagentur die digitale Identität NemID ein. Durch die Einbindung eines IT-Dienstleisters der dänischen Finanzbranche wurde ein Ökosystem aus Anwendungen des öffentlichen und des privaten Sektors geschaffen, das die nahezu universale Nutzung der Lösung in Verwaltung und Privatwirtschaft beschleunigte.

 

Die rasche Digitalisierung der Verwaltung muss jetzt Priorität haben. Die beschriebenen Vorgehensprinzipien, können dabei helfen, dass ein Digitalministerium sein volles Potenzial entfaltet, und nicht lediglich eine neue Struktur aufgebaut wird.

 

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Alle Publikationen der Artikelserie #ZehnMalZukunft über die Zukunft der öffentlichen Verwaltung in Deutschland finden Sie hier: mck.de/zehnmalzukunft

 

Autor:innen: Björn Münstermann, Julia Klier, Axel Domeyer, Peter Pfannes und Carl Torben Thesing